In einem Brief an Bundesrat Berset bitten wir ihn darum, dass die Schweiz die erste globale Strategie gegen virale Hepatitis der WHO unterstützt.
HIV-Patienten sind sie geläufig: Kombinationspräparate mit zwei oder drei Medikamenten in einer Tablette. Das ist praktisch, vor allem bei lebenslanger Dauertherapie. Für manche Patienten mit Hepatitis C haben die Kombinationspräparate aber eine Kehrseite. Der Positivrat Schweiz hat deswegen bei Swissmedic nachgefragt.
Im HIV-Bereich haben die Kombinationsprodukte eine interessante und bereits längere Geschichte.
Aus unterschiedlichen Gründen sind die HIV-Substanzen aber fast alle auch als Einzelprodukte zugelassen und erhältlich. Dadurch ist es einfach, in Einzelfällen die Dosierung einer bestimmten Substanz nach unten oder nach oben anzupassen. Nötig ist dies zum Beispiel bei Interaktionen mit anderen Substanzen, oder um Unverträglichkeiten zu vermeiden.
Die neuen Hepatitis C Therapien kommen nun ebenfalls als Kombinationsprodukte auf den Markt.
Das Problem: Einzelsubstanzen gibt es kaum – Ledipasvir und Velpatasvir gibt es nur in Kombination mit Sofosbuvir; dasselbe gilt für die Bestandteile von Viekirax und Zepatier
Warum ist das ein Problem?
Es ist uns klar, dass die Zulassung einzelner Substanzen aufwendiger ist. Sie ist aber im Interesse der Patienten, öffentlichen Gesundheit und Krankenkassen – und damit letztendlich auch der Industrie. Dieselbe Industrie, welche aus Marketinggründen bloss Kombinationsprodukte bereitstellt, propagiert anderswo „personalisierte Medizin“ – genau auf die Patienten abgestimmte Dosierungen und Kombinationen, welche wirksamer und verträglicher sind. Das Eine lässt sich ohne das Andere nicht haben.
Die Swissmedic schreibt uns nun, dass man leider seitens der Behörde die Industrie nicht zwingen könne, die Einzelsubstanzen ebenfalls zur Zulassung einzureichen. Das ist in Europa und den USA nicht anders. Und doch: das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren wollten viele Behörden Kombinationsprodukten keinen Segen erteilen.
Eine Umfrage bei anderen Patientengruppen zeigt, dass das Problem ein grösseres ist und auch andere Indikationen betrifft. Sehr unglücklich ist man insbesondere bei Medikamenten für ältere Patienten, aber auch in Spitälern. Wir bleiben deshalb am Ball und arbeiten eng mit unseren europäischen Kollegen zusammen. Vielleicht lässt sich hier auf längere Sicht etwas erreichen.
David Haerry / April 2016
Man hat es kommen sehen: trotz eindrücklicher Wirksamkeit funktioniert eine HCV-Therapie unter Umständen nicht. Von einem Therapieversagen betroffen sind nur wenige Patienten – das ist die gute Nachricht. Die wenigen, die es trifft, kämpfen aber buchstäblich um ihr Leben. Von den Krankenkassen werden sie im Stich gelassen.
Wir rechnen mit im Moment etwa 50 Patienten in der Schweiz, die mit den neuen, hochwirksamen Therapien behandelt wurden und aus unterschiedlichen Gründen nicht geheilt werden konnten. Und wir wissen bis jetzt von vier Fällen – einem in der Ostschweiz, einem am Genfersee sowie zwei ko-infizierten Personen aus der HIV-Kohortenstudie, bei denen die Krankenkasse die Kostenübernahme für eine zweite Behandlung verweigert.
Die durch das BAG verfügten Limitationen sehen diese Fälle gar nicht vor. Einzelne Krankenkassen glauben deshalb, den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können und verweigern die Kostenübernahme für die Zweittherapie.
Wir müssen uns bewusst sein, dass die betroffenen Patienten bereits an einer fortgeschrittenen HCV-Infektion litten, da sie sonst gar keine Therapie bekommen hätten. Selbstverständlich wäre es, dass man alles unternimmt, um auch diesen Patienten das Leben zu retten – genauso wie wir bei HIV-Infizierten gelernt haben, wie man mit Therapieresistenzen umgeht. Offenbar wird das im Zusammenhang mit der Hepatitis C noch nicht verstanden.
Der Positivrat akzeptiert das nicht. Die betroffenen Patienten brauchen dringend Hilfe, und sie brauchen eine funktionierende Therapie. Wir bleiben am Ball.
David Haerry / Februar 2016
Es war eine kleine Sensation: Die europäischen Behandlungsrichtlinien empfehlen die PrEP auch ohne Zulassung der europäischen Medikamentenbehörden. Frankreich führt die PrEP offiziell ein und übernimmt die Kosten über das Gesundheitssystem. Die Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit EKSG äussert sich positiv zur PrEP. Und ein Leser hinterfragt unsere Meinung.
EACS Barcelona
Es gab nicht einmal viel Aufsehen an der Konferenz, als die Therapierichtlinien Version 8 vorgestellt wurden – die Kliniker empfehlen den Einsatz der PrEP, und dies bevor die europäischen Medikamentenbehörden eine entsprechende Zulassung erteilt haben. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit der Patientengruppe EATG erklärt die EACS ihre Haltung wie folgt: „Die Wissenschaft hat eine Antwort geliefert, und die Richtlinien reflektieren die Studienresultate aus PROUD und IPERGAY.“ Der EACS-Präsident Professor Manuel Battegay betont denn auch wie wichtig es sei, dass die Behörden mit der Zulassung vorwärts machen. „Auch bei den aktuellen Preisen für Truvada sparen wir Geld wenn wir eine PrEP an schwule Männer aus Hochrisikogruppen verschreiben“, bestätigte die PROUD-Studienleiterin Prof. Sheena McCormack aus London.
Warum sind die europäischen Behörden so spät dran, wo doch die amerikanische FDA schon 2012 eine Zulassung erteilt hat? Die Antwort: Die Amerikaner haben aufgrund von Studienresultaten eine Zwangszulassung verfügt. Die europäischen Behörden haben dieses Instrument nicht – sie müssen warten, bis eine Firma eine Zulassung beantragt (dasselbe gilt für Swissmedic in der Schweiz). Vor wenigen Tagen kam endlich grünes Licht aus London: Das Dossier wird jetzt bearbeitet, innert 60 Tagen sollte die Antwort der Behörde vorliegen.
Frankreich macht vorwärts
Am vergangenen 23. November hat die französische Gesundheitsministerin die Einführung von PrEP ab 1. Januar 2016 angekündigt, dies bei voller Kostenübernahme durch das Gesundheitssystem. Der Ankündigung vorausgegangen waren monatelange Konsultationen hinter den Kulissen. Nach dem vorzeitigen Abbruch der IPERGAY-Studie war der Druck zu gross geworden – das System musste reagieren und die Intervention zugänglich machen. Ärzte und Aidsorganisationen zeigten sich erleichtert. IPERGAY ist die erste Studie, welche die Wirksamkeit von PrEP bei Bedarf, vor und nach dem Sex nachweist.
Und die Schweiz?
Ganz untätig war man hier nicht, doch die Mühlen mahlen etwas langsamer. Zum ersten sind die Neuansteckungen auch bei schwulen Männern einigermassen unter Kontrolle, zum zweiten wurde in der Schweiz keine PrEP-Studie durchgeführt. Die Arbeitsgruppe Klinik und Therapie der eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG (die frühere EKAF) hat sich trotzdem mit der Frage befasst. Einige Ärzte verschreiben die PrEP auch in der Schweiz, weil ihre Patienten danach fragen, und aufgrund der Entwicklung in Europa man die Augen nicht weiter verschliessen konnte. Am 25. Januar 2016 hat das BAG-Bulletin die Meinung der Kommission publiziert. Als Zielgruppe werden HIV-negative Personen mit hohem Ansteckungsrisiko genannt, welche häufig Partner wechseln und Schwierigkeiten mit der konsistenten Verwendung von Kondomen haben. Kürzlich erworbene Infektionen mit Syphilis oder dem venerischen Granulom, eine wiederholte Post-Expositionsprophylaxe oder der Gebrauch sogenannter Chemsex-Drogen können Hinweise auf eine Gefährdung liefern.
Das Verschreiben der PrEP erfolgt in der Schweiz „off label“, da keine Zulassung der Swissmedic vorliegt (die Herstellerfirma hat noch keinen Antrag eingereicht, beabsichtigt dies aber zu tun). Die Kosten werden von der Krankenkasse nicht übernommen. Auf längere Sicht ist das unbefriedigend – zum ersten wird eine Post-Expositionsprophylaxe auch übernommen und zum zweiten sollte der Zugang zu einer wirksamen Intervention für alle möglich sein und kein Privileg darstellen. Die Diskussion um Kostenübernahme muss darum auch in der Schweiz geführt werden. Siehe dazu auch die Position der Positivrates Schweiz.
Eine Zuschrift und unsere Replik
Im vergangenen Juli haben wir uns etwas aus dem Fenster gelehnt. Im Artikel „PrEP ist ok – nur für Amerikaner?“ resümierten wir „Auch wenn PrEP teurer ist als ein Kondom: Die Intervention ist auch wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.”(1) Ein aufmerksamer Leser hat nachgefragt, wie wir das begründen. Dazu muss man etwas ausholen.
Theoretisch müsste man in einer Meta-Analyse die Wirksamkeit von 100% Kondomgebrauch mit der Wirksamkeit von 100% Adhärenz unter PrEP vergleichen. Es gibt solche Meta-Analysen über den Kondomgebrauch. Sie gehen von einer Wirksamkeit von 80-85% aus. Aidsmap schreibt dazu: Wenn Kondome zu 100% eingesetzt werden, wenn auch nicht immer 100% perfekt (sie können zum Beispiel platzen), beträgt der Schutz gegen HIV 80-85%. Mit anderen Worten: Wenn sich 100 Personen ohne Einsatz von Kondomen infizieren, würden sich 15 Personen infizieren, wenn Kondome immer eingesetzt werden. Wichtig dazu: diese Zahlen gelten für heterosexuellen, vaginalen Geschlechtsverkehr (2).
Dawn Smith hat für das amerikanische Center for Disease Control die Wirksamkeit von 100% Kondomgebrauch untersucht. Er zieht dabei einen Durchschnitt aus zwei unterschiedlichen Studien und kommt auf 70% Wirksamkeit (3). Dieser Wert wird durch eine frühere Studie über die Wirksamkeit von Kondomen bei Analverkehr bestätigt.
Bei PrEP haben wir einen einzigartigen Vorteil: Wir können messen und nachweisen, ob die PrEP genommen wurde oder nicht. Beim Kondomgebrauch müssen wir uns darauf verlassen, was die Studienteilnehmer erzählen – natürlich brauchen sie die Kondome „immer“, aber man kann es nicht überprüfen. Auch in PrEP Studien haben die Teilnehmer berichtet, wie genau sie es mit der PrEP nehmen – nur hat man sie dort erwischt. In iPrex betrug der Unterschied zwischen rapportierter und gemessener Adhärenz 90% zu 75%; in anderen PrEP Studien betrug die gemessene Adhärenz sogar nur 51%.
Zurück zu den Studien über die Wirksamkeit von Kondomen: Wir wissen mit Sicherheit, dass die Leute ihr Verhalten beschönigen. Und: entweder berichten die Leute korrekt, wie sicher sie Kondome einsetzen, aber die Kondome sind nicht so wirksam - darum hätten wir eine Wirksamkeit von 70% . ODER die Kondome werden zu 100% eingesetzt und funktionieren auch bei 99%, aber die Leute beschönigen und brauchen sie nicht 100% obwohl sie das Gegenteil behaupten, und wir haben darum eine Wirksamkeit von 70%.
Vor PROUD und IPERGAY konnte man über die Statistik argumentieren und sagen, dass unter Berücksichtigung der Adhärenz Kondome und PrEP gleich effizient wären. Seither ist aber die Katze aus dem Sack. Wir sahen 86% Wirksamkeit auch in Situationen wo die Medikamentenspiegel eine Adhärenz von 76% anzeigten (PROUD) oder der Sex durch zwei Dosen bloss in 50% der Fälle wirklich abgedeckt war (IPERGAY). Das zeigt: PrEP vergibt eine gewisse Nachlässigkeit und ist flexibel im Einsatz, man kann fast 100% Wirksamkeit auch dann erreichen, wenn man nicht ganz alle Dosen nimmt.
Zudem haben wir seither auch die beeindruckende Kaiser Studie mit nicht einer Ansteckung unter mehr als 700 Hochrisikoschwulen. Das hätte man nicht gesehen, wenn man denselben Leuten Kondome empfohlen hätte.
Wir bleiben also dabei: Die PrEP kostet zwar, ist aber wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.
Was mache ich, wenn ich eine PrEP will?
Bitte nicht:
Bitte so:
David Haerry / Februar 2016
(1) http://neu.positivrat.ch/medizin/therapie/128-prep-ist-ok-nur-fuer-amerikaner.html
(2) http://www.aidsmap.com/Do-condoms-work/page/1746203/#item1746205
(3) http://www.aidsmap.com/CDC-researchers-publish-estimate-of-effectiveness-of-condom-use-in-anal-sex/page/2930716/
90-90-90 ist das erklärte Ziel von UNAIDS
Die Schweizer HIV-Kohortenstudie SHCS präsentiert pünktlich zum Weltaidstag sensationelle Zahlen aus der Schweiz: 81-91-96. Die Schweiz übertrifft damit zwei der Ziele bereits deutlich und steht damit allein auf weiter Flur. Wir kommen in einer nächsten Ausgabe darauf zurück.
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