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Die überarbeitete HIV-Medikamenten-Broschüre der Aids-Hilfe Schweiz. Broschüre und Tabelle stehen jetzt zum Download bereit:  

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Daten aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie bestätigen den Anstieg von Hepatitis-CInfektionen bei HIV-positiven MSM. Diese Tendenz wird vor allem auf bestimmte sexuelle Praktiken zurückgeführt. Eine wichtige Rolle dürfte allgemein intensiver Drogengebrauch beim Sex spielen. Klare Präventionsansätze bestehen derzeit nicht.

Das systematische Screening der HIV-Patienten nach Hepatitis-C-Viren (HCV) wurde in der Schweizerischen Kohortenstudie (SHCS) 1998 eingeführt. Infektionen waren bei Drogenkonsumenten seither rückläufig und blieben eine Seltenheit bei heterosexuellen Patienten. Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), ist die HCV-Inzidenz jedoch stark angestiegen, wobei eine verstärkte Dynamik beobachtet wird – die Hälfte aller Fälle ereignete sich in den letzten drei Jahren. Genetische Virusanalysen weisen auf eine Häufung von HCV Übertragungen innerhalb sexueller Netzwerke hin. Die Risikofaktoren werden noch zu wenig verstanden, sie gehen aber mit unsafem Sex einher. 1 2

Was heisst «unsafer Sex» in Bezug auf HCV? «Fisting» ist eine sexuelle Praktik, bei der eine Faust in die Vagina oder ins Rektum eingeführt wird. Dabei entsteht ein HCV-Risiko durch Traumata in Form von Rötungen oder Blutungen. Häufig sind diese eine Folge von Schmerzunempfindlichkeit durch Drogengebrauch, schlechte Technik oder die lange Sessionsdauer. Ein weiteres Risiko ist die Mehrfachgefährdung bei Fisting Parties: Gummihandschuhe werden entweder nicht oder für mehrere passive Partner gleichzeitig benutzt; Dildos werden ohne Reinigung mehrfach bei verschiedenen Männern verwendet, es findet ungeschützter Analverkehr statt, wenn das Rektum bereits blutet – oder der Gummi wird zwischen mehreren passiven Partnern nicht gewechselt. Oft werden auch falsche Gleitmittel eingesetzt; diese können Handschuhe und Kondome zersetzen.  

Weiter könnten folgende Praktiken eine Rolle spielen: ungeschützter Analverkehr, Piercen während des Geschlechtsverkehrs oder die Hodensackinfusion mit Kochsalzlösung; zufälliger oder beabsichtigter Spritzentausch, das Austauschen von Sextoys oder Sex mit HCV-Serokonvertierenden in der Akutphase.  

Die Verwendung von Drogen und Stimulantia beim Sex ist in der schwulen Fetischcommunity eher Norm denn Ausnahme. Crystal Meth wird häufig verwendet und zunehmend auch gespritzt. Die Verlagerung der Anmache auf virtuelle Kommunikationsmittel entpersonalisiert zudem den Sex und reduziert die Verhandlungsbereitschaft.  

Hinter dem vermehrten Drogengebrauch stehen viele Gründe. Lebensstilerwartungen in der schwulen Community spielen eine Rolle, Gruppendruck, die Angst vor sozialen oder intimen Kontakten, Furcht vor sexuellem Versagen, bestimmte Erwartungen an Körper und Aussehen, Alleinsein und Isolation, Depressionen und emotionale Dysfunktion, Drogengebrauch als Lebensstilelement oder aus physischer Abhängigkeit.  

Wie soll man betroffenen Patienten begegnen? Sehr wichtig ist das Zeigen von Empathie; psychiatrische oder psychologische Unterstützung ist manchmal, aber nicht immer angebracht. Häufig eine gute Strategie: Man gibt dem Patienten zu verstehen, dass Drogengebrauch nicht unüblich ist, und plant die nächsten Schritte gemeinsam. Ein Problem ist, dass manchen behandelnden Ärzten diese Subkulturen und die entsprechenden Verhaltensweisen nicht bekannt sind oder dass sie diese nicht nachvollziehen können.  

Es verbleiben nicht sexuelle Risiken, v. a. Injektionsmaterial, welches professionell oder mit Drogen verwendet wird, sowie der Tausch von Röhrchen zum Schnupfen von Kokain.  

Die Ausgangslage für Präventionsmassnahmen ist schwierig, die Zielgruppe klein, und diese benötigt sehr spezifische und umfassende Informationen. Bessere Daten zu einzelnen Risikosituationen sind dringend nötig.* dh

 

* ¹ van de Laar T, Pybus O, Bruisten S, et al. Evidence of a large, international network of HCV transmission in HIV-positive men who have sex with men. Gastroenterology 2009 May;136(5):1609–1617.  

* ² Matthews GV, Pham ST, Hellard M, et al. Patterns and characteristics of hepatitis C transmission clusters among HIV-positive and HIV-negative individuals in the Australian trial in acute hepatitis C. Clin Infect Dis 2011 Mar 15;52(6):803–811.  

* ∗ Der Autor dankt Dr. Andri Rauch vom Inselspital Bern für die Durchsicht des Manuskripts.  

* Swiss Aids News 1, März 2012, www.aids.ch

Der Alterungsprozess bei Menschen die mit HIV mit oder ohne Therapie leben wird noch nicht gut verstanden. Das Immunsystem zeigt ähnliche Anomalien bei alternden Menschen wie bei Menschen mit unbehandeltem HIV; dazu gehören tiefere CD4-Zellen, eine reduzierte Aktivität der Thymusdrüse und kürzere Telomere . Oxidativer Stress, bei welchem ein Überschuss an freien Radikalen das Immunsystem beeinträchtigt und welcher zur Alterung beiträgt, scheint auch die Vermehrung der HI-Viren zu fördern. Dies könnte heissen, dass sich eine HIV-Infektion und der Alterungsprozess gegenseitig begünstigen. Andererseits zeigen neuere Erhebungen, dass viele HIV-Infizierte unter moderner Therapie eine praktisch normale Lebenserwartung haben können.

Der erfolgreiche Einsatz antiretroviraler Medikamente hat zur Folge dass sogenannte Aids-definierende Erkrankungen bei unterdrückter Viruslast und erhöhten CD4-Zellenwerten weniger häufig auftreten. Die verbesserte Lebenserwartung führt aber dazu, dass sowohl HIV-spezifische wie auch mit HIV nicht assoziierte Alterungskomplikationen häufiger beobachtet werden. Mehrere Studien beweisen: Je tiefer die Zahl der CD4, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch mit HIV nicht-AIDS-definierende Komplikationen aufweist. Dieser Umstand ist die momentane Begründung für einen früheren Therapiestart.  

Ältere antiretrovirale Medikamente, welche in wirtschaftlich schwachen Ländern immer noch verbreitet eingesetzt werden, beschleunigen DNA-Mutationen der Mitochondrien. Dieser Prozess ist ein Hinweis auf eine beschleunigte Alterung. Die Autoren dieser Studie weisen auch darauf hin, dass durch AZT, d4T und ddI verursachte Mitochondrienschäden durch normale Zellmechanismen nicht repariert werden können. Die Autoren belegen Hinweise auf eine beschleunigte Alterung, die erhöhte Prävalenz der Gebrechlichkeit, Schwächung der unteren Gliedmassen und körperlicher Funktionsfähigkeit im Vergleich mit HIV-negativen Menschen gleichen Alters und eine Schwächung der Gliedermuskulatur.  

Es ist nicht klar, ob diese Konditionen Langzeitnebenwirkungen der eingesetzten Medikamente sind, oder aber die langfristige Konsequenz vergangener opportunistischer Infektionen. Die Tatsache, dass diese Probleme bei älteren Patienten über 50 auftreten, bei welchen AIDS diagnostiziert wurde und die zum Teil mehrere opportunistische Infektionen durchgemacht haben könnte auch den Umstand verdecken, dass viele Menschen mit einer bereits lange andauernden HIV-Infektion trotz erfolgreicher Therapie körperlich in schlechter Verfassung sind.   

Einige der Altersgebrechen die wir in Menschen mit HIV beobachten sind bedingt durch die Lebensweise oder stark assoziiert mit einer Immunschwäche. Dazu gehören Krebsarten sowie Herz-Kreislaufbeschwerden.  

Einige Wissenschaftler sind der Überzeugung, dass diese Alterserscheinungen die Folge lange andauernder mitochondrialer Toxizität sind. Diese Erklärung wird aber nicht von allen Wissenschaftlern als Hauptursache akzeptiert. Die Kritiker weisen auf die Vielzahl Faktoren hin, welche kumulierte Zell- und Gewebeschädigungen verursachen können.  

Italienische Forscher berichteten kürzlich, dass bei Menschen mit HIV Altersbeschwerden 10 bis 15 Jahre früher auftreten als normal . In der Studie wurden 2'850 Menschen mit HIV beobachtet, welche zwischen 2002 und 2009 an der Klinik in Modena behandelt wurden. Die Patienten waren im Durchschnitt 46-jährig, 37% waren Frauen und 75% wiesen eine Lipodystrophie auf. Die Studie analysierte die Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Knochenbrüchen und Nierenversagen. Die Forscher fordern aggressive Überprüfung, Diagnose und Behandlung innerhalb der Routinekontrollen bei HIV.  

Im gleichzeitig erschienen Editorial schreibt Jacqueline Capeau : „In jeder beobachteten Altersgruppe war die Wahrscheinlichkeit von Komorbiditäten gegenüber der Kontrollgruppe erhöht. Warum? Ist etwa der ganze Alterungsprozess bei diesen Patienten beschleunigt? Sind alle HIV-Patienten gleichermassen betroffen? Was kann man tun?“ Sie schreibt weiter, dass chronische Entzündungsprozesse und Immunaktivierung mit der HIV-Infektion einhergehen, was bedeutet, dass die Betroffenen mit grosser Wahrscheinlichkeit von altersbedingten Erkrankungen betroffen sind. Die Lipodystrophieprävalenz der untersuchten Patientengruppe ist sehr hoch. Dies deutet auf einen späten Therapiebeginn und möglicherweise auch den Einsatz von Medikamenten mit ungünstigem Nebenwirkungsprofil hin. Rauchen, schlechte Ernährung und Drogengebrauch könnten weiter zu den schlechten Resultaten beitragen. Capeau schlägt vor, Entzündungshemmer wie Aspirin und Statine vermehrt einzusetzen.  

Beobachten wir ähnliches in der Schweiz?
Eine Kurzumfrage bei den Ärzten der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie zeigt: eher nein. Bei älteren, HIV-infizierten früheren Drogengebrauchern wird ähnliches beobachtet, bei anderen Patientengruppen eher nicht. Diesen geht es vielmehr je länger je besser. In diesem Zusammenhang interessiert uns die Obel Studie aus Dänemark . Sie zeigt eindrücklich, dass ein erhöhtes Todesfallrisiko bei Menschen mit HIV Risikofaktoren zugeordnet werden kann, die bereits beim Therapiestart bekannt sind (bestehende AIDS-definierende Erkrankungen, Komorbiditäten, problematischer Alkohol- und Drogengebrauch). Patienten ohne Risikofaktoren haben bei erfolgreicher Therapie eine praktisch identische Lebenserwartung wie die Normalbevölkerung. Dies ist mit einem generellen ausgeprägten vorzeitigen Altern bei allen HIV-Infizierten kaum vereinbar. Optimismus ist also angebracht.   

Dass die Diskussion der vorzeitigen Altersbeschwerden bei HIV derart heftig geführt wird, mag damit zusammenhängen, dass wir, wie bereits erwähnt, noch einiges nicht richtig verstehen und einordnen können, und dass andererseits von Seiten der Pharmaindustrie Druck gemacht wird. Angesichts der Altersstruktur in Industrieländern sind anti-ageing Produkte ein riesiger und äusserst lukrativer Markt.  

Der Autor dankt Prof. Hj.  Furrer vom Inselspital Bern für die Durchsicht des Manuskripts.

Gebrechlichkeit 
Mit diesem Wort assoziieren wir Schwäche, Verletzlichkeit und Behinderungen aller Art, aber auch fortgeschrittenes Alter. Damit Gebrechlichkeit als unabhängiges Syndrom diagnostiziert werden kann, müssen drei der folgenden Kriterien erfüllt sein:  

  • unbeabsichtigter Gewichtsverlust  
  • Erschöpfung (Selbstwahrnehmung)  
  • Tiefe körperliche Leistungsfähigkeit  
  • Langsamkeit (messen des Zeitbedarfs um 5m zurückzulegen)  
  • Schwäche (Griffstärke)  

Studien bei älteren Menschen mit HIV zeigen, dass tiefere CD4-Zahlen mit Gebrechlichkeit assoziiert sind. Diese kann aber nicht in Zusammenhang mit dem Einsatz bestimmter Medikamente gebracht werden. Ein Vergleich von Männern ohne HIV aus derselben ethnischen Gruppe und gleichen Alters mit HIV-positiven Männern zeigte, dass letztere häufiger gebrechlich sind. Je länger die Dauer der HIV-Infektion, desto höher ist die Prävalenz – so ist die durchschnittliche Gebrechlichkeit von 55-jährigen Männern mit HIV seit mehr als vier Jahren mit dem von 65-jährigen nichtinfizierten Männern vergleichbar.

Die Telomere sind die aus repetitiver DNA und assoziierten Proteinen bestehenden Enden der Chromosomen. Telomere sind für die Stabilität von Chromosomen wesentliche Strukturelemente der DNA. Telomere werden mit biologischen Vorgängen in Verbindung gebracht, die mit der Alterung von Zellen (Zellseneszenz), aber auch deren Immortalisierung (und damit auch Entstehung von Krebs) zusammenhängen.  

Payne BAI et al. Mitochondrial aging is accelerated by anti-retroviral therapy through the clonal expansion of mtDNA mutations. Nature Genetics, advance online publication, 26 June 2011  
Guaraldi G et al. Premature age-related comorbidities among HIV-infected persons compared with the general population. Clin Infect Dis, online edition, doi: 10.1093/cid/cir627, 2011  
Capeau J. Premature aging and premature age-related comorbidities in HIV-infected patients: facts and hypotheses. Clin Infect Dis, online edition, doi: 10.1093/cid/cir628, 2011  
Obel N, Omland LH, Kronborg G, Larsen CS, Pedersen C, et al. (2011) Impact of Non-HIV and HIV Risk Factors on Survival in HIV-Infected Patients on HAART: A Population-Based Nationwide Cohort Study. PLoS ONE 6(7): e22698. doi:10.1371/journal.pone.0022698  

Eine sehr gute Adhärenz (Therapietreue) ist entscheidend für den Therapieerfolg. Bei manchen Patienten bleibt die Viruslast jedoch auch dann unterdrückt, wenn sie zugeben, mit der Therapietreue Probleme zu haben. Die Forscher der SHCS vermuteten genetische Ursachen welche die Medikamentenspiegel beeinflussen. Die eben publizierte Studie zeigt: nicht die Gene machen es, aber die Dauer der Therapie.

Die gute Adhärenz langfristig aufrechterhalten ist eine der grössten Herausforderungen für Menschen mit HIV. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass die Therapietreue bei Kombinationen auf Basis von Proteaseinhibitoren (PI, z B Prezista oder Reyataz) über 95%, auf Basis von Nicht-Nukleosidanaloga (NNRTI, z B Stocrin oder Viramun) mindestens 80% betragen sollte. Einige Patienten haben Mühe mit dieser Aufgabe, und wiederum einige unter ihnen haben trotzdem Glück: ihre Viruslast bleibt trotz ungenügender Adhärenz unterdrückt. 

Wir wissen bereits, dass die Medikamentenspiegel in den einzelnen Patienten aus vielen Gründen variabel sind. Neue Forschung zeigt, dass genetische Veränderungen in Enzymen, welche Medikamente abbauen oder transportieren einen Einfluss auf die Medikamentenspiegel haben können. Die Schweizer Forscher vermuteten deshalb dass solche genetischen Faktoren bei gewissen nicht adhärenten Patienten eine Rolle spielen könnten.  

In die Studie eingeschlossen wurden weisse Patienten (keine Afrikaner oder Asiaten – die ethnische Zugehörigkeit ist auch ein die Medikamentenspiegel beeinflussender Faktor), welche zwischen 2003 und 2009 über Adhärenzprobleme berichtet haben, bei denen in der Berichtsperiode mindestens zweimal die Viruslast bestimmt wurde und die entweder den NNRTI Stocrin oder den PI Kaletra verordnet hatten. Bei allen Teilnehmern wurden die Eigenschaften bestimmer Polymorphismen (= verschiedene Varianten derselben Gene) untersucht.

Resultate  

Während der Studiendauer von sechseinhalb Jahren wurden 648 Fälle schlechter Adhärenz von 542 Patienten registriert. Drei Viertel der Patienten auf Stocrin hatten trotzdem eine unterdrückte Viruslast. Bei Kaletra waren es 55% der Patienten. Es konnte kein Zusammenhang zwischen trotz schlechter Adhärenz unterdrückter Viruslast und genetischen Eigenschaften hergestellt werden. Bei Patienten mit Adhärenzproblemen, die zwei mal täglich Kaletra einnehmen, blieb die Viruslast besser unterdrückt als bei jenen, die es einmal täglich nehmen.  

Die Daten zeigen aber dass die Wahrscheinlichkeit, das Virus trotz schlechter Adhärenz zu unterdrücken mit der Therapiedauer zusammenhängt. Je länger die Patienten auf erfolgreicher Therapie waren, bevor sie Probleme mit der Adhärenz hatten, desto wahrscheinlicher blieb die Therapie trotzdem erfolgreich.  

In Kürze könnte man sagen: Patienten welche einen guten Therapiebeginn haben und die Viruslast ein paar Jahre unterdrücken, dürfen sich mit der Zeit eher einen Ausrutscher erlauben. Genetische Glückspilze gibt es nicht, die Adhärenz bleibt eine langfristige Herausforderung für die HIV-Patienten.

Text:David Haerry  
© Aids-Hilfe Schweiz, Newsletter “POSITIV”  

Glass TR, Rotger M, Telenti A, Decosterd L, Csajka C, et al. (2012) Determinants of Sustained Viral Suppression in HIV-Infected Patients with Self-Reported Poor Adherence to Antiretroviral Therapy. PLoS ONE 7(1): e29186. doi:10.1371/journal.pone.0029186  

In die PARTNER-Studie werden Paare aufgenommen, bei denen ein Partner HIV-positiv, und der / die andere HIV-negativ ist. Die HIV-positive Person ist unter Therapie, und das Paar verwendet beim Sex kein oder nicht immer ein Kondom.

Was vor dem EKAF-Statement noch Schockwellen ausgelöst hätte, wird jetzt klinisch untersucht: die Auswirkung der HIV-Therapie auf das Übertragungsrisiko bei Paaren, die sich entschieden haben, angesichts unterdrückter Viruslast beim Sex ab und zu oder immer auf Kondome zu verzichten.

Das EKAF-Statement wurde vor drei Jahren sowohl heftig begrüsst wie auch kritisiert. Die Kritiker bemängelten fehlende Daten, vor allem aus der Gruppe homosexueller Menschen. Die EKAF hat allerdings nie behauptet, dass das Übertragungsrisiko unter Therapie gleich Null sei - man ist einfach aus der Beobachtung davon ausgegangen, dass dieses Risiko kleiner ist als beim kondomgeschützten Geschlechtsverkehr bei serodiskordanten Paaren, bei denen der HIV-positive Partner keine Therapie nimmt.

Wir haben einen guten Überblick darüber, was die „hohen" und was die „niedrigen" Risiken sind, aber nur wenige Untersuchungen haben hierzu konkrete Zahlen vorgelegt. Insbesondere interessieren uns homosexuelle Paare, denn von heterosexuellen Paaren gibt es bereits Kohortendaten. Diese beziffern das Risiko unter Therapie auf 5 Infektionen während 1'100 Personenjahren, oder 0.46 pro 100 Jahre. Wenn die Viruslast beim infizierten Partner unter 400 Kopien sinkt, wurde keine Übertragung mehr beobachtet . Eine weitere, an der Retrovirenkonferenz 2010 publizierte Studie aus Südafrika zeigte, dass die Therapie alleine das Übertragungsrisiko um 90% senkt. Bei Kondomgebrauch sinkt das Risiko um 85% - das heisst: bei heterosexuellen Paaren ist, statistisch gesehen, die Therapie sicherer im Verhüten einer HIV-Übertragung als das Kondom.

Wir wissen, dass richtig angewendete Kondome eine Ansteckung mit hoher Sicherheit verhindern. Wir wissen aber auch, dass Kondome reissen oder abrutschen können, und dass nicht jeder auch jedes Mal Kondome benutzt. Besonders gerne „vergessen" wird das Kondom in festen Partnerschaften - und mit diesen beschäftigt sich die PARTNER-Studie. Untersucht werden auch die Gründe, weshalb in der festen Beziehung auf das Kondom verzichtet wird.

Wer kann teilnehmen?

Mitmachen können alle Paare, hetero- oder homosexuell, wenn:  

  • eine/r HIV-positiv ist und behandelt wird, und der / die andere HIV-negativ ist.  
  • das Paar im letzten Monat miteinander ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte (vaginal oder anal).  
  • das Paar davon ausgeht, in den kommenden Monaten erneut Geschlechtsverkehr zu haben.  

Aus ethischen Gründen wird den Studienteilnehmern angeraten, beim Sex ein Kondom zu benutzen.

Mitmachen, was bedeutet das?

Während einem Jahr wird alle 3-6 Monate  

  • die HIV-positive Person gebeten, einen Fragebogen zum Sexualverhalten mit dem Partner / der Partnerin auszufüllen.  
  • die HIV-negative Person gebeten, einen Fragebogen zum Sexualverhalten mit dem Partner / der Partnerin auszufüllen.  

Was passiert, wenn während der Studie der negative Partner positiv wird?

In diesem Fall wird von beiden eine Blutprobe genommen. Die Viren in beiden Proben werden untersucht: es wird geprüft ob diese sich ähnlich sind. Damit lässt sich etwas zur Wahrscheinlichkeit einer Übertragung innerhalb der Partnerschaft sagen. Diese Untersuchung wird allerdings anonymisiert; das Ergebnis wird den Partnern nicht mitgeteilt.

Warum sollten betroffene Paare mitmachen?

Wenn wir bessere Daten zum Übertragungsrisiko unter Therapie haben, hilft man erstens sich selber, zweitens aber auch anderen betroffenen Leuten. Wir werden in Zukunft bessere Informationen über das Restrisiko einer Übertragung unter Therapie haben, und wir können auch hoffen, die Anzahl neuer Infektionen reduzieren zu können. Das heisst: wir können effektivere Gesundheits- und Beratungsprogramme erarbeiten. Die Studienergebnisse sind also für alle Länder wichtig.

Wo in der Schweiz läuft die Studie?

Bereits angelaufen ist die PARTNER-Studie in Basel, Lugano, St. Gallen und am Universitätsspital in Zürich. Bern folgt in Kürze. Wer mitmachen möchte, sollte seinen Arzt oder seine Ärztin bei der nächsten Konsultation auf diese wichtige Studie ansprechen.

 

Rekrutierende Zentren: Basel, Bern, Lugano, St. Gallen, Zürich  
Fragen zur Studie: study (at) positivrat.ch